ELTERN for family – Autorin Gabriele Frydrych
hat als Lehrerin Informationen aus erster Hand
Da sitzen sie vor mir. Aufgeweckte, sympathische 15jährige. Und woran denken sie? An Osmose, Symbiose, Quintenzirkel oder Karl den Kahlen?
Von wegen! An S E X natürlich – und zwar immerfort. Schüler beiderlei Geschlechts haben im zarten Alter der Pubertät nur noch eine Assoziation. Jeder Gegenstand, der im Unterricht auftaucht und länger als breit ist, läßt sie kichern, feixen und hochrot vor Anstrengung unter dem Tisch versinken. Freud hat nicht geahnt, was alles als Penissymbol herhalten muß! Und wenn das Wort dann auch noch offen fällt zu schön, um wahr zu sein! Leider haben die meisten Vierbeiner Schwänze, was den Biologieunterricht stark erschwert. Aber wie soll man diese Fortsetzung der Wirbelsäule sonst nennen?
Arglos übersetzt der Englischlehrer das Wort „member“ als Mitglied. Hohoho, gibt’s denn auch „ohne Glied“?! An sich unverdächtige Wortzusammensetzungen mit „Vogel …“ können den Gang einer Unterrichtsstunde auch sehr behindern. Normalerweise vergessen die Schüler die Strichelchen über a, o und u sehr gerne; hier verwenden sie sie geradezu begeistert.
Wenn man in der Schule Tänze lehrt, müssen die Anweisungen kurz und knackig sein. Man hat keine Zeit, zur Musik zu flöten: „Und nun machen wir einen Schritt zur Kreismitte und wieder einen heraus.“ Also heißt es: „Rein und raus, rein und raus …“ Den Tanz können Sie vergessen. Kein Musikwissenschaftler hat je bedacht, was er den armen Schulmeisterlein antut. Lassen Sie nur mal die Instrumente des Orchesters aufzählen – und schon windet sich die Klasse kreischend am Boden: „Holzblasinstrumente!“ Gacker, gacker! „Blechblasinstrumente!!“ Gacker, gacker!!! „Und Flöten …“ (siehe oben, Stichwort: länger als breit …).
Die Zahl Sechs sollte aus der Mathematik einfach gestrichen werden. Denn oft reicht es schon, die Zahl lediglich zu nennen. Sofort beginnen die Jugendlichen mit leuchtenden Augen zu skandieren: „Sssex, Sssex, Sssex!!!“ Und erst die „fiktive Literatur“! Da kann man noch so sachlich auf ähnliche Wortwurzeln im Mittelhochdeutschen, auf Ursprungsbedeutungen im Lateinischen verweisen, die Fröhlichkeit ist nicht zu bremsen. Wie aus einem Mund tönt es: „Fick-tief!!!“ Hahahaha!!!
Manche Kollegen sind noch recht naiv und meinen, vor den Ferien neckische Schreibspiele veranstalten zu müssen, Marke: „Onkel Fritz sitzt spritzend in der Badewanne.“ Im Schutz der Anonymität erblühen bei diesen Spielen die erlesensten Schweinereien. Die Handelnden in den von den Schülern erfundenen Sätzen tauchen stets im Puff, im Bett oder auf dem Klo auf (es sei denn, diese Orte werden von vornherein ausgeschlossen, dann treiben es die Betreffenden halt beim Psychiater).
Gern schreibt man sich im Unterricht auch Briefe, die der Lehrer dann neugierig kassieren und anschließend im Lehrerzimmer zum Vortrag bringen kann – falls er nicht allzu sensible Kollegen hat.
Jede pubertierende Klasse hält sich für besonders originell, wenn sie dem männlichen Lehrpersonal den Schreibtisch mit Tampons dekoriert oder dem weiblichen Personal Präservative über die Türklinke stülpt. Wenn der Lehrer dann leicht gelangweilt reagiert, sind die Kinder arg enttäuscht. Sie wollen wallende Empörung, Ekel, Entsetzen.
Damit können wir leider nicht dienen, denn wir sind abgebrüht. Schließlich sind in der gesamten Schule alle erreichbaren Flächen bemalt und beschriftet. Mit Geschlechtsteilen in all ihren Varianten und Funktionen. Diese finden sich – im bezaubernden Stil naiver Höhlenmalerei – auf Arbeitsblättern, in Physik- und Liederbüchern, auf Tischen, Stühlen und auf Toilettenwänden.
Mehr dazu an anderer Stelle. Denn: „Form und Inhalt der Graffiti auf Schülertoiletten in koedukativer, pädagogischer und philosophischer Hinsicht“ – das wird das Thema meiner Promotion. Und des nächsten Elternabends …